Technische Bewertungskriterien für Klimaschutz und Klimawandel

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Wann leisten Wirtschaftstätigkeiten einen wesentlichen Beitrag zum Klimaschutz oder zur Anpassung an den Klimawandel? Diese Frage versucht die EU-Kommission in der neuen Delegierten Verordnung (EU) 2021/2139 zu beantworten. Auf 349 Seiten legt die EU-Kommission technische Bewertungskriterien fest, anhand deren bestimmt wird, unter welchen Bedingungen davon auszugehen ist, dass eine Wirtschaftstätigkeit einen wesentlichen Beitrag zum Klimaschutz oder zur Anpassung an den Klimawandel leistet.

Schon der Titel der Delegierten Verordnung lässt erahnen, welchen Umfang die Bestimmungen, die ab 1. Januar 2022 gelten, haben: Ergänzung der Verordnung (EU) 2020/852 des Europäischen Parlaments und des Rates durch Festlegung der technischen Bewertungskriterien, anhand deren bestimmt wird, unter welchen Bedingungen davon auszugehen ist, dass eine Wirtschaftstätigkeit einen wesentlichen Beitrag zum Klimaschutz oder zur Anpassung an den Klimawandel leistet, und anhand deren bestimmt wird, ob diese Wirtschaftstätigkeit erhebliche Beeinträchtigungen eines der übrigen Umweltziele vermeidet.

Der eigentliche Verordnungstext umfasst, nach 59 Erwägungsgründen, lediglich drei kurze Artikel. Die eigentlichen Bestimmungen sind in den beiden Anhängen enthalten. Anhang I legt für 88 wirtschaftliche Tätigkeiten (zum Beispiel Waldbewirtschaftung, Stromerzeugung aus Windkraft und Schienenverkehrsinfrastruktur) Kriterien fest, die einen wesentlichen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Anhang II versucht dasselbe für die Anpassung an den Klimawandel zu regeln, und umfasst ein paar wirtschaftliche Tätigkeiten mehr (zum Beispiel Erziehung und Unterricht, Gesundheits- und Sozialwesen und kreative, künstlerische und unterhaltende Tätigkeiten). Für jede Tätigkeit wird auch angeführt, wie erhebliche Beeinträchtigungen vermieden werden.

Für die Bekanntgabe der technischen Bewertungskriterien ist es höchste Zeit, denn in der (durch die Taxonomie-Verordnung geänderten bzw. ergänzten) Offenlegungsverordnung werden von Finanzmarktteilnehmern bereits ab 1. Januar 2022 Offenlegungen bezüglich der ersten beiden Umweltziele Klimaschutz und Anpassung an den Klimawandel (gemäß Artikel 9 der Taxonomie-Verordnung) in vorvertraglichen Informationen und regelmäßigen Berichten bei Finanzprodukten verlangt.

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Unter anderem werden für manche Wirtschaftstätigkeiten Emissionsgrenzwerte festgelegt, die (mich) durchaus überraschen. Beispielsweise vermeidet man bei der Herstellung von Zement, konkret Grauzementklinker, erhebliche Beeinträchtigungen des Klimaschutzes, wenn die Treibhausgasemissionen unter 816 Kilogramm CO2-Äquivalent pro 1.000 Kilogramm Zement bleiben. Je produzierter Tonne Zement dürfen also bis zu 0,816 Tonnen Treibhausgas emittiert werden, und trotzdem leistet diese Tätigkeit einen wesentlichen Beitrag zum Klimaschutz.

Zement ist der wichtigste Baustoff der Welt. Jährlich werden ein paar tausend Millionen Tonnen hergestellt. Da verwundert es nicht, dass laut einem Bericht im Handelsblatt die Zementproduktion fast acht Prozent der weltweiten Emissionen und damit mehr als Flugverkehr und Rechenzentren zusammen verursacht. Während Diesel-PKW am Pranger stehen, wird über die Zementproduktion im „grünen“ Europa allerdings wenig diskutiert.

Auffallend ist in Anhang 2 ist, dass folgender Absatz bei etwa 100 Wirtschaftstätigkeiten gezählte 92 Mal im Abschnitt „Wesentlicher Beitrag zur Anpassung an den Klimawandel“ wortident vorkommt:

Für die umgesetzten Anpassungslösungen gilt Folgendes:

(a) Sie führen bei Menschen und der Natur, dem Kulturerbe sowie bei Vermögenswerten und anderen Wirtschaftstätigkeiten zu keiner Beeinträchtigung der Anpassungsbemühungen oder des Maßes an Resilienz gegenüber physischen Klimarisiken;

(b) sie umfassen vorzugsweise naturbasierte Lösungen bzw. stützen sich nach Möglichkeit auf blaue oder grüne Infrastruktur;

(c) sie decken sich mit den lokalen, sektoralen, regionalen bzw. nationalen Anpassungsplänen und -strategien;

(d) sie werden anhand vordefinierter Indikatoren überwacht und gemessen, und es werden Abhilfemaßnahmen erwogen, wenn diese Indikatoren nicht erfüllt sind;

(e) ist die umgesetzte Lösung physisch und besteht sie in einer Tätigkeit, für die in diesem Anhang technische Bewertungskriterien festgelegt wurden, entspricht sie den für diese Tätigkeit geltenden technischen Bewertungskriterien für die Vermeidung erheblicher Beeinträchtigungen.

Am Ende des Tages werden nicht Klimaforscher oder Umweltexperten darüber entscheiden, was ein wesentlicher Beitrag zur Anpassung an den Klimawandel ist, sondern Wertpapieraufsichtsbehörden. Noch dazu nach unterschiedlichen nationalstaatlichen Befindlichkeiten. Ein bunter europäischer Fleckerteppich wird wohl entstehen.


Für alle, die sich einlesen möchten, hier der Link zur Delegierten Verordnung …


Quellen:

Handelblatt, www.handelsblatt.com, „Klimakiller Beton: So will die deutsche Zementindustrie CO2-neutral werden“, abgerufen am 12. Dezember 2021