Nachhaltigkeitspräferenzen in der Anlageberatung und Portfolioverwaltung

Header_Andreas_Dolezal_Sustainable_Finance_Green_Dream

Am 2. August 2021 hat die EU-Kommission die Delegierte Verordnung (EU) 2021/1253 veröffentlicht. Kern dieser DelVO sind die Änderungen in MiFID II hinsichtlich der Einbeziehung von Nachhaltigkeitsfaktoren, -risiken und -präferenzen in die Anlageberatung und Portfolioverwaltung. Angewendet werden müssen die neuen Regeln ab 2. August 2022. Ein erster Blick in der neue Regelwerk, über das noch viel geschrieben und diskutiert werden wird.

In der Delegierten Verordnung (EU) 2017/565 der Kommission werden Nachhaltigkeitsrisiken nicht ausdrücklich erwähnt. Aus diesem Grund und um sicherzustellen, dass die internen Verfahren und organisatorischen Vorkehrungen ordnungsgemäß umgesetzt und eingehalten werden, muss präzisiert werden, dass die Prozesse, Systeme und internen Kontrollen von Wertpapierfirmen Nachhaltigkeitsrisiken Rechnung tragen sollten und technische Kapazitäten und Kenntnisse für die Analyse dieser Risiken erforderlich sind., begründet Erwägungsgrund 3 der neuen DelVO 2021/1253 die Beweggründe der EU-Kommission.

Neue Begriffsbestimmungen

Um Nachhaltigkeitspräferenzen in die Anlageberatung und Portfolioverwaltung einfließen zu lassen, wird MiFID II mit drei neuen Begriffsbestimmungen ergänzt (im Folgenden sinngemäß verkürzt wiedergegeben):

7. Nachhaltigkeitspräferenzen: die Entscheidung eines (potentiellen) Kunden darüber, ob und, wenn ja, inwieweit eines der folgenden Finanzinstrumente in seine Anlage einbezogen werden soll:

a) ein Finanzinstrument, bei dem der (potentielle) Kunde bestimmt, dass ein Mindestanteil in ökologisch nachhaltige Investitionen im Sinne von Artikel 2 Nummer 1 der Verordnung (EU) 2020/852 (= „ökologisch nachhaltige Investition“ gemäß Taxonomie-Verordnung) angelegt werden soll;

b) ein Finanzinstrument, bei dem der (potentielle) Kunde bestimmt, dass ein Mindestanteil in nachhaltige Investitionen im Sinne von Artikel 2 Nummer 17 der Verordnung (EU) 2019/2088 (= „nachhaltige Investition“ gemäß Disclosure-Verordnung) angelegt werden soll;

c) ein Finanzinstrument, bei dem die wichtigsten nachteiligen Auswirkungen auf Nachhaltigkeitsfaktoren berücksichtigt werden, wobei die qualitativen oder quantitativen Elemente, mit denen diese Berücksichtigung nachgewiesen werden, vom (potentiellen) Kunden bestimmt werden;

8. Nachhaltigkeitsfaktoren: Nachhaltigkeitsfaktoren gemäß Artikel 2 Nummer 24 der Verordnung (EU) 2019/2088 (Disclosure-Verordnung);

9. Nachhaltigkeitsrisiken: Nachhaltigkeitsrisiken gemäß Artikel 2 Nummer 22 der Verordnung (EU) 2019/2088 (Disclosure-Verordnung).

Nachdem es aktuell nur eine Taxonomie für Umweltziele gibt, aber keine für soziale Aspekte (siehe Beitrag Entwurf zur Sozial-Taxonomie, für Governance gibt es bis dato noch keinen Entwurf), werden Finanzinstrumente auch gemäß Disclosure-Verordnung miteinbezogen. Denn die Definition von „nachhaltige Investition“ ist deutlich umfangreicher als jene der nur „ökologisch nachhaltigen Investition“. Mit Punkt c) sind wohl Finanzinstrumente gemäß Artikel 8 und 9 der Disclosure-Verordnung gemeint.

Fakt ist jedenfalls, dass damit auch (potentielle) Kunden ihre individuellen und persönlichen Sichtweisen und Vorlieben hinsichtlich Nachhaltigkeit und klimaschonenden Investitionen begraben können. Was der (potentielle) Kunde für nachhaltig oder klimaschonend hält, spielt keine Rolle mehr. Es gelten nur mehr die politischen Ansichten und Definitionen der EU. Ob sich jeder Kunde dieserart entmündigen lassen wird, bleibt abzuwarten.

Detaillierte Information für (potentielle) Kunden

An dieser Stelle lohnt ein Blick in Erwägungsgrund 6 (zum besseren Verständnis verkürzt wiedergegeben):

(…) Damit die (potentiellen) Kunden diese verschiedenen Nachhaltigkeitsgrade verstehen und mit Blick auf die Nachhaltigkeit fundierte Anlageentscheidungen treffen können, sollten Wertpapierfirmen, die Anlageberatungs- und Portfolioverwaltungsdienstleistungen erbringen, erklären, wie sich die in Punkt 7. a) bis c) genannten Finanzinstrumente, (…) von anderen Finanzinstrumenten unterscheiden, die diese besonderen Merkmale nicht aufweisen (…).

Einerseits muss also der KYC-Prozess im Kundenprofil angepasst werden. Damit alleine ist es aber nicht getan. Auch die Auswahlverfahren dahinter müssen ergänzt werden. Und es muss im Sinne von Erwägungsgrund 6 Erläuterungen zu den in Frage kommenden Finanzinstrumenten geben. Denn es ist nicht davon auszugehen, dass ein durchschnittlicher Kunden mit Begriffen wir Taxonomie, Offenlegungsverordnung bzw. Artikel 8- oder Artikel 9-Finanzprodukt vertraut ist und die Unterschiede zu „normalen“ Finanzprodukten kennt. Zu den jetzt vorhandenen Informationen für Kunden kommen also noch ein paar Seiten Text dazu.

Konkretisiert wird dies im neuen Artikel 52 bezüglich Informationen zum Thema Anlageberatung, der zukünftig in Absatz 3 folgende Fassung enthält:

(3) Die Wertpapierfirmen beschreiben Folgendes:

a) die in Betracht kommenden Arten von Finanzinstrumenten;

b) das Spektrum an Finanzinstrumenten sowie die nach der jeweiligen Art von Finanzinstrument gemäß dem Leistungsumfang analysierten Anbieter;

c) gegebenenfalls die Nachhaltigkeitsfaktoren, die bei der Auswahl der Finanzinstrumente berücksichtigt werden;

d) die Art und Weise, wie bei der Vornahme einer unabhängigen Beratung die erbrachte Dienstleistung den Bedingungen für die unabhängige Vornahme der Anlageberatung gerecht wird, und die Faktoren, die beim Auswahlverfahren der Wertpapierfirma zur Empfehlung von Finanzinstrumenten Berücksichtigung finden, darunter Risiken, Kosten und die Komplexität der Finanzinstrumente.

Organisatorische Anforderungen, Risikomanagement & Interessenkonflikte

Zukünftig müssen Wertpapierfirmen beim Erfüllen ihrer organisatorischen Anforderungen gemäß Artikel 21 von MiFID II auch Nachhaltigkeitsrisiken berücksichtigen. Dabei können sie die Art, den Umfang und die Komplexität ihrer Geschäfte sowie die Art und das Spektrum der im Zuge dieser Geschäfte erbrachten Wertpapierdienstleistungen und Anlagetätigkeiten berücksichtigen.

Auch ins Risikomanagement ziehen Nachhaltigkeitsrisiken spätestens ab 2. August 2022 ein. Denn die angemessene Strategien und Verfahren für das Risikomanagement, mit denen die mit den Geschäften, Abläufen und Systemen der Wertpapierfirma verbundenen Risiken erfasst werden, müssen dann auch Nachhaltigkeitsrisiken berücksichtigen.

In Artikel 33 von MiFID II (Für einen Kunden potenziell nachteilige Interessenkonflikte) werden die Interessen eines Kunden um dessen Nachhaltigkeitspräferenzen ergänzt.

Eignungsbeurteilung und Eignungsberichte

Viel wird noch diskutiert werden über die praxisgerechte Umsetzung der neuen Eignungsbeurteiung sowie der Eignungsberichte. Kurz gesagt werden die Anforderungen jeweils um den Begriff Nachhaltigkeitspräferenzen ergänzt. Doch wie das genau auszusehen hat und wie umfangreich dies zu erfolgen hat, sprengt hier im ersten Schritt den Rahmen dieses Beitrages. Daher hier im ersten Schritt nur eine kurzer Blick, zum Beispiel auf den neuen Artikel 54 Absatz 2 Buchstabe a):

a) Es entspricht den Anlagezielen des betreffenden Kunden, auch hinsichtlich seiner Risikobereitschaft und jeglicher Nachhaltigkeitspräferenzen;

Zur Klarstellung: der Gsetzgeber schreibt „jegliche Nachhaltigkeitspräferenzen“. Damit scheint klar, dass die Aufmerksamkeit eines (potentiellen) Kunden nicht nur auf jene nachhaltigen Finanzprodukte gelenkt werden darf, die die Wertpapierfirma in ihrem eigenen Produkt-Spektrum hat, sondern der (potentielle) Kunde jegliche nachhaltigen Vorlieben nennen kann – unabhängig davon, ob die Wertpapierfirma diesen Präferenzen mit ihren Finanzprodukten auch gerecht werden kann. Ganz nebenbei stellt sich die Frage, ob es überhaupt FInanzprodukte gibt, die „jeglichen Nachhaltigkeitspräferenzen“ von Kunden entsprechen. Denn Nachhaltigkeitspräferenzen dürfen breitgefächert und individuell sein, die verfügbaren Finanzprodukte hingegen müssen in die engen EU-Normen passen.

Im Sinne von Erwägungsgrund 3 sollen die relevanten (Nachhaltigkeits-)Risiken nicht nur einmalig, sondern fortlaufend berücksichtigt werden:

(…) Die Wertpapierfirmen sollten daher nicht nur alle relevanten finanziellen Risiken fortlaufend berücksichtigen, sondern auch alle relevanten Nachhaltigkeitsrisiken im Sinne der Verordnung (EU) 2019/2088 des Europäischen Parlaments und des Rates, deren Eintreten tatsächlich oder potenziell erhebliche negative Auswirkungen auf den Wert der Investition haben könnte.

Auch dieser Aufwand sollte nicht unterschützt werden. Und wenn ein Finanzprodukt, dessen nachhaltigen Aspekte laufende geprüft werden, nicht mehr den ursprünglichen Nachhaltigkeitspräferenzen des Kunden entspricht? Muss es dann zwingend ausgetauscht werden? Was, wenn ausgerechnet ein un-grünes Finanzprodukt sensationell performt und der Kunden es nicht austauschen will? Wird der Nutzen so einer Umschichtung größer sein als deren Kosten (die Kosten-Nutzen-Analyse darf ja dennoch nicht unter den Tisch fallen)? Ganz zu Ende gedacht erscheinen die Ideen der EU nicht.

Neu- und Bestandskunden

Das die neuen Bestimmungen am 2. August 2022 auf neue Kunden angewandt werden müssen, ist klar. Und was geschieht mit Bestandskunden? Erwägungsgrund 4 besagt dazu Folgendes:

(…) Bei Bestandskunden, bei denen bereits eine Eignungsbeurteilung durchgeführt wurde, sollten Wertpapierfirmen die Möglichkeit haben, die individuellen Nachhaltigkeitspräferenzen des betreffenden Kunden erst bei der nächsten regelmäßigen Aktualisierung der bestehenden Eignungsbeurteilung in Erfahrung zu bringen.

Bei der nächsten regelmäßigen Aktualisierung der Anleger-/Kundenprofile sind als die individuellen Nachhaltigkeitspräferenzen des Bestandskunden zu erheben. Soweit, so gut. Aber: Sollten Kunden, die sich bis zu dieser Aktualisierung noch gar nicht hinsichtlich Nachhaltigkeitspräferenzen geäußert haben, plötzlich solche nennen (denn sie müssen ja nach jeglichen Nachhaltigkeitspräferenzen gefragt werden), was ist dann die Folge? Ein Komplett-Umbau der vorhandenen Portfolios? Die Beendigung der langjährigen Geschäftsbeziehung, weil die Wertpapierfirma bzw. der Berater kein Finanzprodukt anbieten kann, das den genannten Nachhaltigkeitspräferenzen entspricht? Auch diesen, in der Praxis sicherlich vorkommenden Fall, hat die EU mit der Neufassung von MiFID II nicht am Radar.

Fähigkeiten und Kenntnisse

Die Neufassung von MiFID II besagt nichts über Fähigkeiten und Kenntnisse, über die Anlageberater und Anlageberaterinnen hinsichtlich Sustainable Finance verfügen müssen. Klar sollte aber sein, dass Kundenberater ebenso wie alle relevanten Back Office-Mitarbeiter entsprechend geschult werden müssen. Denn wie sonst sollten sie in der Lage sein, all diese Informationen zu geben und die weitreichenden Pflichten fortlaufend zu erfüllen?


Wertpapierberatung wird noch aufwendiger und komplexer. Ob das tatsächlich einen Beitrag zu Klima- und Umweltschutz liefert, bleibt ungewiss. Die genormte Nachhaltigkeit den Kunden verständlich zu machen, wird eine kommunikative Herausforderung. Einige Details stellt sich der europäische Gesetzgeber im Brüsseler Elfenbeinturm einfacher vor als sie im echten Leben sind. Es wird folglich noch viel zu diskutieren geben. Bis 2. August 2022 ist ja auch noch etwas Zeit dafür,


Banner_Andreas_Dolezal_Anmeldung_Newsletter_nachhaltig