Kommentar: Wie glaubwürdig ist der europäische Green Deal?

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Mit dem europäischen Grünen Deal bekräftigt die Europäische Kommission ihr Engagement für das Bewältigen klima- und umweltbedingter Herausforderungen. Der Green Deal soll eine neue Wachstumsstrategie darstellen, mit der die EU zu einer fairen und wohlhabenden Gesellschaft mit einer modernen, ressourceneffizienten und wettbewerbsfähigen Wirtschaft wird. Ziel ist es, Europa bis zum Jahr 2050 zum ersten klimaneutralen Kontinent zu machen. Wie glaubwürdig ist die EU mit diesem Ziel?

Die Europäische Union als Ganze ist in der Lage, ihre Wirtschaft und Gesellschaft umzugestalten, um sie auf einen nachhaltigeren Weg zu bringen, gibt sich die Kommission in ihrer Mitteilung an das Europäische Parlament (vom 11. Dezember 2019) überzeugt. Für die nachhaltige Glaubwürdigkeit dieses Unterfangens wäre es aus meiner Sicht als EU-Bürger gut, wenn sich die EU auch selbst an der Nase nimmt, sich nicht nur mit faulen Minimal-Kompromissen und Lippenbekenntnissen zufrieden gibt und selbst mit gutem Beispiel vorangeht. Bis jetzt sieht es allerdings nicht danach aus. Ein paar Beispiele:

Fauler Kompromiss beim UNO-Klimagipfel

Im Dezember 2019, also etwa zeitgleich mit der vorhin erwähnten Mitteilung an das EU-Parlament, ist die UNO-Klimakonferenz in Madrid mit einem beschämenden Minimal-Ergebnis zu Ende gegangen. Geblieben von diesem Event (zu dem zahlreiche der etwa 25.000 Teilnehmer wohl alles andere als klimaneutral mit dem Flugzeug anreisten) ist nur der kleinste gemeinsam Nenner: Das Plenum erinnerte (!) alle rund 200 Staaten an ihre Zusage, im nächsten Jahr ihre Klimaschutzziele für 2030 möglichst zu verschärfen.

„Die EU kann ihren Einfluss, ihr Fachwissen und ihre finanziellen Ressourcen nutzen, um ihre Nachbarn und Partner zu mobilisieren, damit diese ihr auf einen nachhaltigen Weg folgen.“, meint die EU-Kommission in ihrer Mitteilung an das Europäische Parlament. Und weiter: „Die EU wird weiterhin eine Führungsrolle bei den internationalen Bemühungen übernehmen.“ Davon ist auf internationaler Ebene bis dato nichts zu erkennen. Die schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg warf den EU-Staaten zudem vor, die Welt mit Versprechen wie Treibhausgas-Neutralität bis 2050 in die Irre zu führen.

Europas Schienennetz ist ein Fleckerlteppich

Eine wirksame Maßnahme zur Reduktion von klimaschädlichen Verkehrsemissionen wäre das Verlagern des Gütertransports von der Straße auf die Schiene. Angekündigt wird dies von der EU sein Jahrzehnten, auch in Österreich steht dieses Ziel seit Jahren in jedem neuen Regierungsprogramm. Tatsächlich wird der Anteil der Bahn am Güterverkehr immer geringer. In Österreich liegt er immerhin bei knapp 30 Prozent, EU-weit gerade einmal bei 17 Prozent. Dabei sollen es in der gesamten EU in 10 Jahren 30 Prozent, bis 2050 sogar 50 Prozent sein.

Bahnunternehmen haben es allerdings nicht leicht in der EU. Sie kämpfen an den – wohlgemerkt innereuropäischen – Grenzen nach wie vor mit strengen Auflagen für Material (z.B. unterschiedliche Eisenbahnsysteme mit unterschiedlichen Signalsystemen) und Personal (z.B. gibt es keine einheitliche Kommunikationssprache, an Binnengrenzen müssen Lokführer und vielfach auch Lokomotiven gewechselt werden). Bahnbetreiber bezahlen auch, im Gegensatz zu LKWs, flächendeckend Schienenmaut.

Das klimafreundliche Ziel von mehr Gütertransport auf der Schiene scheitert an nationalstaatlichen Eitelkeiten. An Geld fehlt es jedenfalls nicht. Laut EU-Rechnungshof hat die EU alleine in den Jahren 2007 bis 2013 insgesamt 28 Milliarden Euro für die Kofinanzierung von Eisenbahnprojekten ausgegeben. Österreich investiert seit Jahren etwa doppelt so viel in die Bahninfrastrukter wie in die Straße. Trotzdem ist der LKW in Europa günstiger und schneller als die Bahn.

Apropos günstiger und schneller … wussten Sie, dass in der EU alle Waggons seit 150 Jahren mit der Hand gekuppelt werden? Die automatische Waggonkupplung, die den Bahnbetrieb deutlich (kosten-)effizienter machen würde, gibt es in der EU nicht. ÖBB und Deutsche Bahn experimentieren gerade damit – während sich diese technische Revolution in den USA seit 120 (!) Jahren und in Japan seit 90 (!) Jahren bestens bewährt. Dem Grünen Deal ist zu wünschen, dass er nicht auch von mächtigen Gewerkschaften, die um Arbeitsplätze und Einfluss fürchten, so erfolgreich blockiert wird.

Fettes SUV mit 1,2 Liter WLTP-Verbrauch

Das WLTP-Verfahren (World Harmonized Light Duty Vehicles Test Procedure), geregelt in der Verordnung (EU) 2017/1151, ist jenes Testverfahren, mit dem in der EU der Spritverbrauch von Kraftfahrzeugen unter Laborbedingungen bestimmt wird. Auf Basis des WLTP-Verfahrens verbraucht ein über 2.500 Kilogramm schweres und fast 400 PS starkes SUV eines deutschen Premium-Automobilherstellers mit Plug-in-Hybrid-Antrieb fabelhafte 1,2 Liter Benzin auf 100 Kilometer. Viele Hersteller forcieren Plug-in-Hybride auch deshalb, weil sie den CO2-Flottenausstoß – rein rechnerisch – reduzieren. Schaut man sich allerdings in Internet-Foren um, berichten Fahrer solcher SUV, dass sie in der Praxis (je nach Fahrweise, Strecke und Ladezustand) bis zu 12 Liter Sprit, also das Zehnfache des WLTP-Normverbrauches, verbrauchen.

Das Magazin PROFIL berichtete im Artikel „Spurwechsel“ (Ausgabe 32, 2. August 2020) von Daten, die der britische Rundfunksender BBC veröffentlicht hat. Tausende Plug-in-Hybrid-Fahrzeuge (deren Kauf in England mit bis zu 4.500 Pfund gefördert wird) verbrauchen im Alltag genauso viel Benzin wie herkömmliche Autos, nämlich 5,9 Liter statt theoretisch nur 1,8 Liter. Laut PROFIL bzw. BBC fuhren viele Konsumenten ihre Hybrid-Fahrzeuge oft nur mit Benzin, manche wurden nie aufgeladen und hatten die Ladekabel noch in Cellophanfolie eingeschweißt im Kofferraum liegen. Die Batterien und der Elektromotor sparen also Anschaffungskosten, werden im Alltag aber oft ungenutzt spazieren gefahren. So sieht der Hybrid-Betrieb in der Praxis aus.

Auch in Österreich wird der Kauf von Hybrid-Modellen gefördert und sie sind von der Normverbrauchsabgabe NoVA befreit, denn sie können ja auch ein paar wenige Kilometer rein elektrisch fahren. Eine schöner Preisabschlag für all jene, die sich Autos in dieser gehobenen Preiskategorie leisten können. Mit einem auf dem Papier sehr niedrigen CO2-Ausstoß bieten sich solche Hybrid-Dickschiffe auch als steuerliche bevorzugte Firmen- bzw. Dienstwagen an.

Green Washing, also dem Versuch, durch Marketing- und PR-Maßnahmen ein „grünes Image“ zu erlangen, ohne tatsächlich entsprechende Maßnahmen zu implementieren, versucht die EU im Rahmen des Green Deals energisch einen Riegel vorzuschieben. Davon ausgenommen scheint Green Washing zu sein, dass von der EU legitimiert wird.

EU-Parlament pendelt zwischen Brüssel und Straßburg

Das europäische Parlament hat seit 1992 zwei Sitze: Brüssel und das über 400 Kilometer davon entfernte Straßburg. Seit Jahrzehnten pendeln tausende EU-Beamte und EU-Parlamentarier monatlich zwischen diesen beiden Standorten hin und her. Alle vier Wochen übersiedeln auch Tonnen von Unterlagen, die in Kisten verpackt mit LKWs (!) hin- und hertransportiert werden. Eh klar, das europäische Schienennetz ist ja wie vorhin dargestellt ein antiquierter Fleckerlteppich.

Über 100 Millionen Euro soll dieser sinnbefreite Spaß jedes Jahr kosten. Von den unnötigen Verkehrsemission ganz zu schweigen. Trotzdem ist jeder Versuch, diesen absurden Wanderzirkus zu beenden, bis dato am Veto Frankreichs gescheitert, das sich den Sitz in Straßburg natürlich nicht nehmen lassen will. Eitelkeit vor Klimaschutz, könnte man meinen.

Pflichten gelten insbesondere für die Wirtschaft

Es wird noch sehr viel zu diskutieren geben über den Green Deal. Abgesehen von der offenen Frage, ob der Green Deal ein zahnloser Papiertiger bleibt oder tatsächlich etwas bewegen kann, sehe ich die Gefahr, dass die EU ihre grundsätzlich ehrenwerten und lebenswichtigen Ziele durch das eigene Handeln konterkariert – und damit massiv an Glaubwürdigkeit verliert. Zahlreiche Beispiele, nicht nur die hier angeführten, belegen leider das Versagen der EU beim Umsetzen von umweltpolitischen Maßnahmen.

Es entsteht der Eindruck, dass die Verantwortung für den Schutz von Klima und Umwelt mangels eigener Umsetzungskraft an die Wirtschaft delegiert wird. Dazu dienen tausende Seiten an Richtlinien und Verordnungen, die der Green Deal umfasst und mit denen die Wirtschaft in die Pflicht genommen wird. An vorderster Stelle auch die Finanzindustrie, die federführend dazu beitragen soll, die vielen Billionen Euro aufzubringen, die der Green Deal kosten wird.

Ich wünsche mir auch von der EU selbst aktive Beiträge zum Schutz von Umwelt und Klima. Mit gutem Beispiel voranzugeheh würde die Glaubwürdigkeit und Ernsthaftigkeit des Green Deal nämlich deutlich unterstreichen.


Update, 16.09.2020: von der Leyen´s Rede zur Lage der Europäischen Union

Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen fordert in Ihrer Rede zur Lage der Europäischen Union unter anderem eine drastische Verschärfung des EU-Klimaziels vor. Der Treibhausgasausstoß in der EU soll bis 2030 nicht wie bisher um 40 Prozent, sondern um mindestens 55 Prozent unter den Wert von 1990 sinken. Schon das 40 Prozent-Ziel ist sehr ambitioniert, das Erreichen mehr als ungewiss, wie fern der Realität sind dann minus 55 Prozent?

Vor allem: wie soll dieses Ziel erreicht werden, ohne die europäische Wirtschaft und Industrie noch mehr zu belasten und Europa wirtschaftlich ins Abseits zu stellen? Auch dafür präsentierte von der Leyen eine Idee: Exportsubventionen. Solche Förderungen kennen wir in der EU bereits aus der Agrar- bzw. Landwirtschaft. Was in der EU teuer erzeugt wird, wird für den Export mit Steuergeld wieder konkurrenzfähig gemacht. Leider zeigt sich an den Agrarsubventionen seit vielen Jahren, dass dieses Modell viele Mängel aufweist.

Oder – auch diese Gefahr sehe ich aufkeimen – die Umsetzung scheitert in der Praxis und geht einfach unter. Auch dafür gibt es eine ganze Reihe negativer Beispiele, wie den Maastricht-Vertrag, dessen darin festgeschriebene Defizitziele von zahlreichen EU-Mitgliedstaaten seit Jahren dutzendfach gebrochen werden – ohne jede Konsequenz. Passiert dies auch den fabelhaften Ideen der Kommissionspräsidentin, dann sind die Pläne zu mehr Klimaschutz nicht das Papier wert auf dem sie stehen.


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