Wie die Finanzindustrie das Weltklima retten soll

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Die Europäische Kommission meint es ernst mit dem Klimaschutz. Im Rahmen des europäischen Grünen Deals soll die Finanzindustrie verstärkt dazu beitragen, die Pariser Klimaziele zu erreichen. Investitionen von Banken und Versicherungen, Pensionskassen, Fondsmanagern und Kleinanlegern sollen nachhaltig – streng im Sinne der EU-Kriterien – investiert werden. Können EU-Verordnungen tatsächlich das Weltklima retten? Oder regiert eher das Prinzip Hoffnung?

Das Weltklima befindet sich im Wandel. Die negativen Auswirkungen des Klimawandels sind rund um den Erdball zu beobachten. Naturkatastrophen und zunehmende Umweltverschmutzung, etwa durch Mikroplastik in den Ozeanen und Schadstoffemissionen, sind unbestreitbare Fakten. Diesen Entwicklungen gilt es wirksam entgegenzutreten. Neben den Beiträgen, die wir alle im Alltag zum Klima- und Umweltschutz leisten können (und leisten werden müssen, Stichwort weniger Fleisch, weniger reisen), kommt der europäischen Klima- und Umweltpolitik eine Schlüsselrolle zu. Von ihr wird abhängen, ob sich die Folgen des Klimawandels noch abwenden oder zumindest abschwächen lassen. Wesentlich dabei ist, ob und wie sehr sich der Rest der Welt, allen voran China und die USA, den ambitionierten europäischen Zielen anschließt. Denn, auch das ist unbestritten, ganz alleine rettet das „grüne Inselchen Europa“ das globale Klima sicher nicht.

Ihre Ziele hat die EU schon wortreich mitgeteilt, zum Beispiel im „Aktionsplan: Finanzierung nachhaltigen Wachstums“, der Mitteilung „Ein sauberer Planet für alle“ und dem euphorischen Grünen Deal. Erst im vergangenen April hat sich das EU-Parlament auf verschärfte Klimaziele für 2030 geeinigt. Treibhausgase der EU sollen um mindestens 55 Prozent unter den Wert von 1990 gesenkt werden. Bis zum Jahr 2050 sollen die Netto-Treibhausgasemissionen in der EU sogar auf null sinken, damit Europa zum ersten klimaneutralen Kontinent der Erde wird. Das wird, etwa durch CO2-Steuern, teuer für die Wirtschaft und uns Konsumenten, so viel ist schon klar.

EU-Klimaschutz auf dem Papier

Auf dem Papier ist die EU auf dem Weg zum Klimaschutz-Weltmeister. Schon seit 10. März 2021 muss beispielsweise die Verordnung (EU) 2019/2088 über nachhaltigkeitsbezogene Offenlegungspflichten im Finanzdienstleistungssektor („Disclosure-Verordnung“) angewendet werden. Europäische Aufsichtsbehörden (EBA, EIOPA, ESMA) arbeiten an technischen Regulierungsstandards, die auf knapp 200 Seiten detailliert festlegen wie die Verordnungen umzusetzen sind. Ebenfalls bereits in Kraft ist die Verordnung (EU) 2020/852 über die Einrichtung eines Rahmens zur Erleichterung nachhaltiger Investitionen („Taxonomie-Verordnung“). Vielköpfige Beratergremien werden installiert, wie die Plattform für ein nachhaltiges Finanzwesen und die Sachverständigengruppe für nachhaltiges Finanzwesen, deren erster Technical Report samt Anhang weitere 660 Seiten beisteuert.

An Lesestoff und sich daraus ergebenden Pflichten sowie erheblichen aufsichtsrechtlichen Risiken für Finanzmarktteilnehmer und Finanzberater mangelt es also nicht. Im Zentrum der umfassenden Regulierungen steht die Definition für „nachhaltige Investition“:

„nachhaltige Investition“ gemäß Artikel 1 Ziffer 17 der Disclosure-Verordnung:
eine Investition in eine wirtschaftliche Tätigkeit, die zur Erreichung eines Umweltziels beiträgt, gemessen beispielsweise an Schlüsselindikatoren für Ressourceneffizienz bei der Nutzung von Energie, erneuerbarer Energie, Rohstoffen, Wasser und Boden, für die Abfallerzeugung, und Treibhausgasemissionen oder für die Auswirkungen auf die biologische Vielfalt und die Kreislaufwirtschaft, oder eine Investition in eine wirtschaftliche Tätigkeit, die zur Erreichung eines sozialen Ziels beiträgt, insbesondere eine Investition, die zur Bekämpfung von Ungleichheiten beiträgt oder den sozialen Zusammenhalt, die soziale Integration und die Arbeitsbeziehungen fördert oder eine Investition in Humankapital oder zugunsten wirtschaftlich oder sozial benachteiligter Bevölkerungsgruppen, vorausgesetzt, dass diese Investitionen keines dieser Ziele erheblich beeinträchtigen und die Unternehmen, in die investiert wird, Verfahrensweisen einer guten Unternehmensführung anwenden, insbesondere bei soliden Managementstrukturen, den Beziehungen zu den Arbeitnehmern, der Vergütung von Mitarbeitern sowie der Einhaltung der Steuervorschriften;

Diese umfassende Definition wirft mehr Fragen auf als sie beantwortet. Nur ein Beispiel: gilt die Investition in Automobilhersteller, die neuerdings vermehrt Elektro-Autos bauen, als nachhaltig? Wie sind die Gewinnung der Rohstoffe für die Akkus unter oft sehr prekären Arbeitsbedingungen sowie deren ungelöste Entsorgung zu gewichten? Beeinträchtigt es ein Umweltziel (siehe unten) erheblich, wenn diese Hersteller weiterhin Autos mit Verbrennungsmotoren verkaufen? Solche und ähnliche Fragen stellen sich quer durch alle wirtschaftlichen Tätigkeiten.

Umweltziele gemäß Artikel 9 der Taxonomie-Verordnung

  • a) Klimaschutz
  • b) Anpassung an den Klimawandel
  • c) die nachhaltige Nutzung und Schutz von Wasser- und Meeresressourcen
  • d) der Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft
  • e) Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung
  • f) der Schutz und Wiederherstellung der Biodiversität und der Ökosysteme

Die Taxonomie, die festlegen soll, welche wirtschaftliche Tätigkeit als nachhaltig gilt, versagt angesichts der komplexen wirtschaftlichen Realität an klaren Antworten. Vor manchen Antworten drückt sie sich sogar bewusst. Beispielsweise, ob Atomenergie als ökologisch gilt. Geht es nach Österreich und Deutschland, dann natürlich nicht. Frankreich sieht das hingegen ganz anders. Nationalstaatliche Motive stehen klaren Antworten im Weg.

EU-Klimaschutz in der Praxis

In der Praxis erreicht die EU in der Disziplin Klimaschutz keinen Stockerlplatz, wie zahlreiche Beispiele belegen. Am Verlagern des Güterverkehrs von der Straße auf die Schiene scheitert die EU seit Jahrzehnten, denn das europäische Bahnnetz ist ein Fleckerlteppich an nationalstaatlichen Eitelkeiten. Flugverkehr schädigt das Klima, aber an der Steuerfreiheit für Flugzeugtreibstoff hält die Politik fest. So ist die Taxifahrt zum Flughafen weiterhin oft teurer als der Flug durch halb Europa. Auch Greenwashing legitimiert die EU, wie zum Beispiel das WLTP-Prüfverfahren, welches den Normverbrauch von KFZ ermittelt. 2,5 Tonnen schwere SUVs mit 400 PS und Hybrid-Antrieb benötigen am Prüfstand weniger als zwei Liter Benzin auf 100 Kilometer. Dieser utopische Fabelwert ist im Alltag unerreichbar, wie Fahrer solcher SUVs berichten.

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Das EU-Parlament, also tausende Beamte und Tonnen von Dokumenten, pendelt übrigens weiterhin alle vier Wochen zwischen Brüssel und Straßburg hin und her. Sinnlos und teuer, aber Frankreich lässt sich den EU-Sitz in Straßburg nicht wegnehmen. Wichtiger als ein kleiner Beitrag zum Klimaschutz ist dann doch der politische Frieden. Das zeigte sich auch bei der letzten UNO-Klimakonferenz in Madrid Ende 2019. Dort begnügte sich die EU-Delegation mit schönen Worten, von einer „Führungsrolle bei den internationalen Bemühungen“ keine Spur.

Die europäische Klima- und Umweltpolitik schafft es nicht einmal in die Punkteränge. Daher delegiert sie die Rettung von Klima und Umwelt an die Wirtschaft, an vorderster Front die Finanzindustrie. Diesen Eindruck erwecken zumindest die vielen Regularien. Europäische Politiker umschiffen damit auch elegant die Gefahr, sich mit strengen ökologischen Maßnahmen, die uns Konsumenten nicht nur Bequemlichkeit, sondern viel Geld kosten werden, bei ihren Wählern unbeliebt zu machen. Den sprichwörtlichen Schwarzen Peter bekommt die Wirtschaft zugesteckt.

Nachhaltig investieren im Sinne der EU

Aus Sicht des europäischen Gesetzgebers, namentlich der Disclosure-Verordnung, gibt es nur mehr drei Produktgruppen, kurz gesagt: hellgrüne, dunkelgrüne und sonstige Finanzprodukte. Unter „sonstige“ fallen dabei auch jene Finanzprodukte, die zwar ökologisch, sozial, klimafreundlich usw. investieren, aber eigenen Maßstäben, sprich anderen als den EU-Kriterien, folgen. Nachhaltig ist nur mehr, was die EU bestimmt. Ähnlich rechthaberisch wäre die Normierung des Begriffes „schöne Kunst“.

Für Privatanleger und Finanzberater werden Suche und Auswahl von nachhaltig orientierten Investments schwieriger. Dazu tragen auch die geplanten Anpassungen in MiFID II und IDD bei. Es soll nicht ausreichen, Kunden zu fragen, ob sie nachhaltig investieren möchten, oder nicht. Im Rahmen der Eignungsbeurteilung soll gefragt werden, wie groß der Anteil an nachhaltigen Investitionen sein soll, oder ob die Veranlagung ein konkretes Umweltziel verfolgen soll. Entsprechend zeitintensiv wird die Suche nach geeigneten Finanzprodukten sowie im Zeitverlauf die regelmäßige Überprüfung der Eignung. Die periodischen Berichte, die zu nachhaltigen Finanzprodukten ab 2022 veröffentlicht werden müssen, gilt es intensiv zu studieren.

Asset Manager sollen bei ihren Investitionsentscheidungen eine wahre Flut an Kriterien berücksichtigen. Neben umfassenden (vorvertraglichen und periodischen) Informationspflichten haben sie auf Basis der Taxonomie jede einzelne Anlageentscheidung hinsichtlich deren Wirkung auf Nachhaltigkeitsfaktoren zu bewerten. Anhand von dutzenden Kriterien, etwa dem Kohlenstoff-Fußabdruck, der Energieeffizienz und dem geschlechterspezifischen Lohngefälle, soll jede Investition in eine wirtschaftliche Tätigkeit, wie der Kauf einer Aktie, auf Nachhaltigkeit geprüft werden. Nicht nur kleine Produkthersteller stoßen dabei an die Grenzen ihrer zeitlichen und personellen Ressourcen. ESG-Berater und Anbieter von ESG-Datenbanken dürfen mit steigender Nachfrage – aber auch mit kommenden Regulierungen – rechnen. Kostengünstiger werden „grüne“ Finanzprodukte dadurch keinesfalls.

Woher bekommen Asset Manager diese detaillierten unternehmensspezifischen Informationen? Zum Beispiel aus Nachhaltigkeitsberichten, die Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern veröffentlichen müssen. Aber erstens sind das EU-weit nur ca. 11.000 Unternehmen, und zweitens orientieren sich diese Berichte nicht an den Kriterien, die Asset Manager berücksichtigen müssen.

Noch mehr Richtlinien

Lösungsansatz der EU, wie könnte es anders sein: eine neue Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung, die diese Berichtspflichten auf alle europäischen Unternehmen mit mehr als 250 Mitarbeitern ausdehnt (EU-weit dann etwa 50.000) und diese verpflichtet, die Berichte auf die Taxonomie abzustimmen. Bleibt die Frage, ob und wie Unternehmen aus dem großen Rest der Welt diese Informationen bereitstellen. Und selbst wenn chinesische, US-amerikanische, indische, asiatische usw. Unternehmen diese Informationen veröffentlichen: wie grob geschätzt sie sind bzw. welchen Wahrheitsgehalt haben sie?

Damit sind aber noch lange nicht alle Fragen beantwortet, die sich Asset Manager stellen. Wie sollen sie prüfen, ob Unternehmen, die Produktionsstätten (für Autos, Elektronik, Kleidung usw.) in bekannten Billiglohnländern haben, gute Beziehungen zu den Arbeitnehmern pflegen und die Mitarbeiter gerecht entlohnen? Gerecht nach welchen Maßstäben? Wie prüft ein Asset Manager, ob Unternehmen steuerehrlich sind? Ist es nachhaltig, wenn Unternehmen ganz legal die in der EU bestehenden Steueroasen wie Malta und Irland zur „Steuersenkung“ nutzen? Dürfen französische oder deutsche Staatsanleihen noch gekauft werden, obwohl diese beiden Länder die dritt- bzw. viertgrößten Rüstungsexporteure der Welt sind?

Schließlich müssen bei nachhaltigen Anlageentscheidungen die erheblichen aufsichtsrechtlichen Risiken bedacht werden. Denn die Nachhaltigkeit einer Investition prüfen nicht Klimatologen oder Umweltwissenschaftler, sondern die jeweiligen Aufsichtsbehörden. Und wie diese den Begriff „nachhaltige Investition“ in den Elfenbeintürmen interpretieren, weiß derzeit noch niemand.

Am Gelde hängt, zum Gelde drängt doch alles

Die EU versucht Geld als Druckmittel für Investitionen einzusetzen. Unternehmen, die nicht nachhaltig im Sinne der (auch politisch motivierten) EU-Kriterien wirtschaften, sollen nicht mehr finanziert werden. Wird das Versiegen der Geldströme die „schmutzigen“ Wirtschaftszweige zum nachhaltigen Umdenken zwingen? Nicht unbedingt, denn die Lücke, die europäische Geldgeber hinterlassen, füllen mit Freude asiatische oder US-amerikanische Banken, Versicherungen und Pensionsfonds. Das bewahrheitet sich Berichten zufolge bereits in der Praxis. Womit der nachhaltig positive Effekt für das Klima verpufft.

Wenn Geld als Druckmittel nur eingeschränkt funktioniert, warum nutzt die EU Geld nicht als Lockmittel!? Wäre es nicht viel einfacher und ökologisch Ziel führender nur halb so dicke Regelwerke in Kraft zu setzen und dafür Investoren mit finanziellen Anreizen in nachhaltige Investitionen zu locken? So neu ist diese Idee nicht. Der Kauf von Elektroautos wird beispielsweise in vielen EU-Ländern staatlich gefördert, in Österreich entfällt zudem für Autos mit Benzin-Hybrid-Antrieb die NoVA. Und siehe da, die Nachfrage steigt enorm! Steuerlich begünstigten nachhaltigen Geldanlagen würde es ähnlich ergehen. „Keep it simple and stupid“ ist aber leider keine Prämisse des europäischen Grünen Deals.

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