EU-Lieferkettengesetz: Unverzichtbar oder Bürokratie-Monster?
Ende Januar wurde der 435-seitige Text des EU-Lieferkettengesetzes, der Corporate Sustainability Due Diligence Directive CSDDD (oder CS3D), veröffentlicht. Die finale Zustimmung sollte nur mehr reine Formsache sein. Doch einige Mitgliedstaaten, darunter Österreich und das Schwergewicht Deutschland, meldeten Bedenken an. Die Abstimmung wurde daher kurzerhand vertagt.
Die weitreichenden Sorgfaltspflichten entlang der globalen Lieferketten, zu denen die CSDDD europäische Unternehmen verpflichtet, haben viele Kritiker. Menschrechts- und Umweltorganisationen geht der Entwurf nicht weit genug. Die Wirtschaft kritisiert das Regelwerk als uferlos und in der Praxis undurchführbar. Recht haben wohl beide Seiten. Menschenrechte und Umweltstandards auf EU-Niveau wird die CSDDD niemals auf der ganzen Welt sicherstellen können. Und auf die europäische Wirtschaft kommt das nächste Bürokratie-Monster zu.
Weit gefasster Anwendungsbereich
Direkt erfasst von den Sorgfaltspflichten sind Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern und einem Umsatz von über 150 Mio. Euro. Für besonders sensible Branchen, wie etwa Textilien, Land- und Forstwirtschaft sowie neuerdings das Baugewerbe, gelten niedrigere Schwellenwert von 250 Mitarbeitern und 40 Mio. Euro Umsatz.
Der Begriff „Wertschöpfungskette“ wird durch „chain of activities“ (Kette von Aktivitäten) ersetzt. Das erweitert den Anwendungsbereich zusätzlich. Erfasst sind weltweit (!) alle direkten und indirekten Lieferanten, von denen Unternehmen Produkte oder Dienstleistungen für die Herstellung der eigenen Produkte oder Dienstleistungen beziehen.
Darüber hinaus sind alle direkten und indirekten Partner erfasst, die die Erzeugnisse vertreiben, transportieren, lagern oder entsorgen.
Vom Konzern bis zum kleinen KMU
Im Alltag werden die Schwellenwerte wenig Rolle spielen. Der riesige Anwendungsbereich in der „Kette von Aktivitäten“ würde dazu führen, dass eine Vielzahl an kleinen Unternehmen – die selbst weit unter den Mitarbeiter- und Umsatzgrenzen liegen – betroffen sind. Jedes KMU, das auch nur einen einzigen Kunden hat, der direkt der CSDDD unterliegt, wird indirekt von den Sorgfaltspflichten erfasst sein.
Geschütze Rechte
Die Sorgfaltspflichten sollen eine Fülle an geschützten Rechten gewährleisten. Darunter alleine 15 Übereinkommen zu Menschenrechten und Grundfreiheiten, wie die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, das Übereinkommen über die Rechte des Kindes und den Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte.
Diese Übereinkommen sind ursprünglich reine Absichtserklärungen, die sich an Staaten richten. Mit der CSDDD werden sie zur gesetzlichen und bei Verstößen mit Millionenstrafen (bis zu 5 % des weltweiten Umsatzes) bedrohten Pflicht für privatwirtschaftliche Unternehmen. Kritiker monieren, dass die EU damit hoheitliche Aufgaben an die Wirtschaft delegiert.
Die Umweltstandards, die Unternehmen sicherstellen sollen, umfassen so gut wie alle bekannten negativen Klima- und Umweltauswirkungen sowie internationale Umwelt-Ziele und -Verbote.
Dieser Beitrag ist erstmals im Börsen-Kurier Nr. 9 vom 29. Februar 2024 erschienen.