Contact Tracing: Datenschutz im Wirtshaus

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Seit Montag, den 28. September, müssen Gastronomiebetriebe in Wien die Kontaktdaten ihrer Gäste erheben und vier Wochen lang speichern. Im Falle eines COVID 19-(Verdachts-)Falles unter den Gästen soll damit das Nachverfolgen der Kontakte, das Contact Tracing, gewährleistet werden. Für diese Verarbeitung von personenbezogenen Daten gilt es natürlich auch den Datenschutz zu beachten.

Mit der „Verordnung des Magistrats der Stadt Wien betreffend Auskunftserteilung für Contact Tracing im Zusammenhang mit Verdachtsfällen von COVID-19“ (Download am Ende dieses Beitrages) legt die Stadt Wien fest, dass im Falle eines COVID 19-(Verdachts-)Falles „Betriebsstätten der Gastronomie“ von ihren „Kundinnen und KundenVorname, Name, Telefonnummer, E-Mail-Adresse und Tischnummer auf Verlangen an die Bezirksverwaltungsbehörde zu übermitteln haben. Die Uhrzeit wird in der Verordnung übrigens nicht angeführt. Lokalbetreiber sind also verpflichtet, diese Daten bei ihren Gästen zu erheben. Ob wirklich jeder Gast seine echten Kontaktdaten bekanntgibt, darf bezweifelt werden.

Aus Deutschland, wo es diese Form des Contact Tracing schon länger gibt, ist bekannt, dass regional bis zu 70 Prozent der Kontaktdaten falsch beziehnungsweise im Fall der Fälle nutzlos waren. Zwar kann der Gastronom die Bewirtung verweigern, wenn der Gast gar keine Kontaktdaten bekanntgeben will (und sollte das meiner Ansicht nach auch tun, denn er kann diesfalls seine gesetzliche Pflicht nicht erfüllen und macht sich strafbar), eine Ausweispflicht gegenüber dem Lokalbetreiber besteht für den Gast jedoch nicht.

Genau genommen stellt sich die Frage, ob es tatsächlich gerechtfertigt ist, Telefonnummer UND E-Mail-Adresse zu erheben. Der Einwand, dass damit dem Grundsatz der Datenminimierung im Sinne der DSGVO widersprochen wird, ist durchaus berechtigt. Denn für den Zweck der Datenverarbeitung, das Contact Tracing, wird wohl auch Telefonnummer ODER E-Mail-Adresse ausreichen. Und was macht der Lokalbetreiber, wenn Gäste – wie eventuell ältere Menschen – gar keine E-Mail-Adresse haben? Auch diesbezüglich wäre das ODER angebracht.

Keine Einwilligung zur Datenverarbeitung erforderlich

In Internetforen habe ich schon die Diskussion darüber gelesen, ob man als Gast die Einwilligung zur Datenverarbeitung nicht einfach verweigern sollte, oder beim Verlassen des Lokals das Löschen der Daten verlangen soll. Diese Diskussion entbehrt jeglicher Grundlage. Denn niemand muss seine Einwilligung geben, die Rechtsgrundlage für diese Datenverarbeitung ist die gesetzliche Pflicht des Gastronomen. Und wo keine Einwilligung gegeben wird, kann auch keine widerrufen werden. Ich kann der Verarbeitung meiner personenbezogenen Daten ja auch nicht widersprechen, wenn ich mit zu hoher Geschwindigkeit in eine Radarfalle getappt bin und mich so der Strafe entziehen.

Auf dem von der Wirtschaftskammer Wien zur Verügung gestellten Formular zur Kontakterfassung wird auch klar auf gesetzliche Pflichten als Rechtsgrundlage hingewiesen: „Sie haben unseren Gastronomiebetrieb besucht und uns Ihre Daten (Vor- und Zuname, E-Mail-Adresse, Telefonnummer) auf Basis der aktuellen gesetzlichen Grundlage zur Verfügung gestellt.

Informationspflichten gelten unverändert

Darüber hinaus müssen natürlich sämtliche Informationspflichten gemäß Datenschutz-Grundverordnung DSGVO erfüllt werden. Auch diese Tatsache berücksichtigt des Formular der Wirtschaftskammer: „Wir verarbeiten diese Daten ausschließlich zur raschen Kontaktpersonennachverfolgung im Falle eines COVID-19-Verdachts. Speicherdauer/Löschungsfrist: Wir löschen Ihre Daten nach 28 Tagen. Wir geben Ihre Daten ausschließlich an folgende Empfänger bzw. Empfängerkategorien weiter: Gesundheitsbehörden (…) auf Verlangen.

Bild_Buch_Datenschutz_in_der_Praxis_NeuauflageAuch auf die Rechte von betroffenen Personen wird pflichtgemäß hingewiesen: „Rechtsbehelfsbelehrung: Ihnen stehen grundsätzlich die Rechte auf Auskunft, Berichtigung, Löschung, Einschränkung, Datenübertragbarkeit und Widerspruch zu. Dafür wenden Sie sich an uns (Kontaktdaten siehe unten). Wenn Sie glauben, dass die Verarbeitung Ihrer Daten gegen das Datenschutzrecht verstößt oder Ihre datenschutzrechtlichen Ansprüche sonst in einer Weise verletzt worden sind, können Sie sich bei der Aufsichtsbehörde beschweren. In Österreich ist die Datenschutzbehörde zuständig.

Mit diesem Formular zur Kontakterfassung, in das zum Beispiel tischweise bis zu fünf Personen eingetragen werden können, wird auch vermieden, dass – wie zum Beispiel beim Eintragen in eine im Eingangsbereich aufliegenden und frei einsehbare Liste – ein Gast die Daten der anderen Gäste einsehen kann. Der Vertraulichkeit unter den Gästen kann also grundsätzlich (wenn die Formulare nicht stapelweise öffentlich herumliegen, sondern konsequent eigesammet werden) Rechnung getragen werden. Wiederum aus Deutschland sind jedoch Fälle bekannt, in denen sich das (männliche) Personal des Gastronomen einzelne Kontaktdaten von besonders attraktiven, weiblichen Gästen herausgesucht und diese Damen dann kontaktiert oder sogar gestalkt hat. Diesen Zugriff durch unbefugte Dritte muss der Lokalbetreiber natürlich unterbinden.

Keine Formvorschriften für Datenerhebung

Die Verordnung der Stadt Wien sieht für das Erheben der Kontaktdaten keine Formvorschriften vor. Die Daten der Gäste müssen also nicht zwingend auf Papier gesammelt werden, es sind auch elektronische Verfahren, wie beispielsweise Apps, denkbar. Ob es sich beim Betreiber solcher Apps um Auftragsverarbeiter handelt (mit denen ein Auftragsverarbeitervertrag abgeschlossen werden muss), gilt es im Einzelfall zu prüfen. In diesem Fall ist auch die Datenschutzinformation entsprechend zu erweitern.

Übermittlung der Daten an Behörden

Ausschließlich im Anlassfall, wenn unter den Gästen also ein COVID 19-(Verdachts-)Fall bekannt wird – dürfen die Kontaktdaten an die zuständigen Gesundheitsbehörden (und nur an diese!) übermittelt werden. Und auch in diesem Fall (vermutlich) nur die Daten der einzelfallbezogen relevanten Gäste, also jener Gäste, die zum selben Zeitpunkt in der Nähe des Verdachtsfalles ihren Sitzplatz hatten. Allerdings stelle ich mir die Frage, wie weit der Kreis der Sitznachbarn gezogen wird. Werden jeweile nur die Gäste an den direkt benachbarten Tischen kontaktiert, oder alle Gäste, die sich zum betreffenden Zeitpunkt im Gastraum befunden haben?

Noch nicht klären konnte ich auch die Frage, ob Gäste, die beim Auftreten eines COVID 19-(Verdachts-)Falles kontaktiert werden, als Kategorie I-Kontaktpersonen (Kontaktpersonen mit Hoch-Risiko-Exposition) oder als Kategorie II-Kontaktpersonen (Kontaktpersonen mit Niedrig-Risiko-Exposition) eingestuft werden. Zur Info auszugsweise die Definitionen:

Kategorie I-Kontaktpersonen sind Kontaktpersonen mit Hoch-Risiko-Exposition, definiert als:

  • Personen, die kumulativ für 15 Minuten oder länger in einer Entfernung ≤2 Meter Kontakt von Angesicht zu Angesicht mit einem bestätigten Fall hatten (insbes. Haushaltskontakte).
  • Personen, die sich im selben Raum (z.B. Klassenzimmer, Besprechungsraum, Räume einer Gesundheitseinrichtung) mit einem bestätigten Fall in einer Entfernung ≤ 2 Meter für 15 Minuten oder länger aufgehalten haben.
  • Folgen: Behördliche Absonderung bis zum Tag 10 nach dem letzten kontagiösen Kontakt: seitens der Bezirksverwaltungsbehörde ist ein Absonderungsbescheid zu erlassen! Reduktion der Kontakte zu anderen Personen durch häusliche Absonderung, d.h. kein Verlassen der Wohnung.

Kategorie II-Kontaktpersonen sind Kontaktpersonen mit Niedrig-Risiko-Exposition, definiert als:

  • Personen, die kumulativ für kürzer als 15 Minuten in einer Entfernung ≤2 Meter Kontakt von Angesicht zu Angesicht mit einem bestätigten Fall hatten bzw. Personen, die sich im selben Raum (z.B. Klassenzimmer, Besprechungsraum, Räume einer Gesundheitseinrichtung) mit einem bestätigten Fall in einer Entfernung >2 Metern für 15 Minuten oder länger oder in einer Entfernung von ≤ 2 Metern für kürzer als 15 Minuten aufgehalten haben.
  • Folgen: Informationsschreiben an diese über COVID-19-Krankheitsbild, Krankheitsverläufe und Übertragungsrisiken (z.B. Hustenetikette), Selbst-Überwachung des Gesundheitszustandes bis zum Tag 10 nach dem letzten kontagiösen Kontakt (Verwendung von Tagebuch optional), Aufforderung, soziale Kontakte und die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel sowie Reisetätigkeit freiwillig stark zu reduzieren und die wissentlichen Kontakte und Gesprächskontakte zu notieren.

Es macht also einen gravierenden Unterschied, ob Gäste eines Lokals also Kategorie I- oder als Kategorie II-Kontaktperson eingestuft werden. Gerade Inhaber von unverzichtbaren Schlüsselfunktionen sollten sich eventuell gut überlegen, ob sich für einen schnellen Espresso im Kaffeehaus tatsächlich der Gefahr einer zehntägigen Quarantäne aussetzen möchten.

Löschung der Kontaktdaten nach vier (!?) Wochen

Sämtliche Kontaktdaten sind gemäß Verordnung der Stadt Wien vier Wochen nach ihrer Aufnahmen zu löschen. Dabei gilt es die Grundsätze des richtigen Löschens zu berücksichten. Keinesfalls dürfen die Formulare mit den Kontaktdaten einfach im Papiermüll entsorgt werden. Shreddern ist jedenfalls angebracht.

Diese Aufbewahrungspflicht wirft bei mir noch eine Frage auf: werden bei einem COVID 19-(Verdachts-)Fall lediglich die anderen Gäste der letzten zehn oder vierzehn Tage kontaktiert, oder auch Gäste, die gemäß Aufzeichnung bereits vor drei oder vier Wochen am Nachbartisch eines COVID 19-(Verdachts-)Falles saßen? Wenn sich eine Infektion mit COVID 19 wie hundertfach berichtet nach zehn oder spätenstens vierzehn Tagen zeigt, warum müssen die Kontaktdaten dann vier Wochen aufgehoben werden?

Bis dato habe ich auf die genannten Fragen keine Antworten gefunden. Sollte ich diese finden, werde ich sie hier als Update veröffentlichen.

Unabhängig von diesen Maßnahmen stelle ich mir als Wiener die Frage, ob dies alles eher als Signal für potentielle Gäste aus dem Ausland dienen soll, nach dem Motto: „Seht her, wir tun etwas.“ Wie verhält es sich denn mit dem Ansteckungsrisiko und dem Contact Tracing in öffentlichen Verkehrsmitteln? Erst letzten Freitag bin ich selbst mit der übervollen Staßenbahn gefahren und ich will gar nicht wissen wie viele potentielle Verdachtsfälle mit mir gemeinsam dicht an dicht im Waggon gestanden sind – ohne jegliche Registrierung und Chance zum Contact Tracing.


Update, 25.09.2020, 18:30 Uhr: Lebensmittelinnung Wien zur Registrierung in der Gastronomie

Auch die Landesinnung Wien der Lebensmittelgewerbe hat unbeantwortete Fragen. Es ist aufgrund der Verwendung des weiten Begriffes „Gastronomie“ unklar, ob auch gastgewerbliche Nebenrechte – also z.B. das Mittagsmenü, das beim Fleischer verzehrt wird, oder Kaffee mit Kuchen, die beim Bäcker konsumiert werden – von der Registrierungspflicht umfasst sind. Eher ist davon auszugehen, dass diese gastgewerblichen Nebenrechte von der Verordnung umfasst sind, also auch beim Bäcker, Fleischer und Konditor nach den Kontaktdaten gefragt wird.


Update 25.09.2020, 23:00 Uhr: Wie Wien seine Versäumnisse verschleiert

DiePresse.com berichtet im Artikel „Wie Wien seine Versäumnisse verschleiert“ (Premium-Artikel, also kostenpflichtig) unter anderem über das Contact Tracing in Wien, hier ein Auszug:

Wird in einer Stadt, zum Beispiel in Wien, jemand positiv auf das Coronavirus getestet, erfolgt eine Meldung an die zuständige Gesundheitsbehörde, in Wien die MA 15. Anschließend rückt unverzüglich ein Team aus, um jene Menschen zu ermitteln, zu testen und bei einem positiven Ergebnis zu isolieren, mit denen die infizierte Person in den vergangenen drei bis sieben Tagen (je nach Beginn der Symptome) engen Kontakt hatte, auch bekannt als Contact Tracing.

Laut DiePresse.com ist diese Methode zur Eindämmung der Virus-Ausbreitung in Wien schon jetzt zusammengebrochen: „… auf dutzende Meldungen von nachgewiesenen Infektionen wird seitens der Behörde nicht einmal reagiert.“ Wie die zusätzlichen Verdachtsfälle aus der Gastronomie abgearbeitet werden, bleibt abzuwarten.


Update 02.10.2020, 20:00 Uhr: Wer im Ernstfall kontaktiert wird

Ein Bericht auf ORF.at (Wer im Ernstfall kontaktiert wird) bringt etwas Licht in die offenen Fragen:

Sind Personen mit dem Infizierten an einem Tisch gesessen, werden diese mit hoher Wahrscheinlichkeit als Kontaktperson ersten Grades geführt und müssen in die Quarantäne. Werden noch andere Personen kontaktiert, weil die Situation ergeben hat, dass ebenfalls ein relativ enger Kontakt aufgrund der räumlichen Gegebenheiten bestanden haben kann, dann kann nach Ermessen der Gesundheitsbehörde ebenfalls eine Quarantäne verhängt werden.


Update 05.10.2020, 17:00 Uhr: Was Wirte bei der Gästeregistrierung alles beachten müssen

Ein Beitrag Was Wirte bei der Gästeregistrierung alles beachten müssen auf DerStandard.at beantwortet einige (Rechts-)Fragen kurz und prägnant.


Download Behördliche Vorgangsweise bei SARS-CoV-2 Kontaktpersonen: Kontaktpersonennachverfolgung (Stand: 25.09.2020)

Download Verordnung des Magistrats der Stadt Wien betreffend Auskunftserteilung für Contact Tracing im Zusammenhang mit Verdachtsfällen von COVID-19


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