
Lignano zur Weihnachtszeit ist eine Reise wert
Lignano, den italienischen Badeort an der oberen Adria, im Sommer kennen viele: Brütend heiß, Pizza, Pasta und Eis an jeder Ecke, laut und übervölkert, 23 Reihen Liegestühle und Sonnenschirme auf 8 Kilometer Sandstrand. So kenne auch ich Lignano Sabbiadoro. Aber wie ist Lignano in der Weihnachtszeit? Achtung, Spoileralarm, die Antwort lautet: Eine Reise wert!
Seit mittlerweile 25 Jahren urlaube ich, gemeinsam mit Familie und wechselnden Freunden, im Juli ein paar Tage in Lignano. Sabbiadoro, natürlich, also das Ende der Landzunge, die die Laguna di Marano vom Adriatischen Meer trennt. Den Rekord an Lignano-Urlauben hält meine Schwiegermutter. Sie verbringt seit 1954 (sic!) jedes Jahr mindestens zwei Wochen in Lignano. Ihre jahrzehntelange Treue brachte ihr schon eine Ehrung des ortsansässigen Tourismusverbands ein. Doch in all den vielen Jahren hat sie Lignano nie im Winter besucht.

Den Startschuss gaben unsere befreundeten Hotelpächter Luigi und Elisabetta. Sie schrieben uns zu Beginn der Adventzeit, dass sie eines ihrer Hotels erstmalig zwischen Weihnachten und Befana, dem italienischen Dreikönigsfest, öffnen werden. Kurz entschlossen fand Schwiegermutti einen winterlichen Kurzurlaub als Geschenk unter dem Christbaum. Mit 92 Jahren war es nun soweit: Lignano im Winter!
Lignano mit heute etwa 6.500 Einwohnern ist eine junge Stadt. Sie wurde erst Anfang des 20. Jahrhunderts auf trockengelegten Sümpfen errichtet und hat sich an den 1960er Jahren zu einem der beliebtesten Sommerferienorte Italiens entwickelt. Nahe dem bis zu 150 Meter breiten und 8 Kilometer langem Sandstrand locken 130 Restaurant und über 100 Bars. Kauflustige finden ca. 750 Geschäfte, viele davon in der Fußgängerzone, die sich parallel zum Strand über fast die gesamt Landzunge erstreckt.
Brennende Befana
Für uns Österreicher sind die Weihnachtsfeierlichkeiten mit dem Heiligen Abend und den folgenden Feiertagen zu Ende. In Italien endet die Weihnachtszeit erst am 6. Januar. Der von Urlaubern und Einheimischen gut besuchte Weihnachtsmarkt vor der zentral gelegenen Kirche, dem Duomo di San Giovanni Bosco, im Park, der die Einkaufsmeile unterbricht, bleibt bis Befana von vormittags bis spät abends geöffnet.
Im italienischen Volksglauben beschenkt die Weihnachtshexe Befana die Kinder in der Nacht auf den 6. Januar. Dargestellt wird sie meist lächelnd auf einem Besen reitend, und rußbedeckt, weil sie durch den Schornstein kommt. Braven Kindern bringt sie Süßigkeiten und Geschenke, unartigen nur Kohle. Es klingt makaber, aber die gute Befana (in Form einer als Hexe gekleideten Strohpuppe) wird am Strand in einem Flammenmeer, dem Pignarûl-Feuer (Glücksfeuer), verbrannt. Symbolisch werden damit das alte Jahr und der Winter verbrannt, um Platz für das Neue und die Wiedergeburt des Frühlings zu schaffen.
Kulinarischer Weihnachtsmarkt
Wer sich am Weihnachtmarkt Stände mit Handarbeiten aller Art, Christbaumschmuck und Duftkerzen erwartet, wird enttäuscht. In zwei langen Reihen zu beiden Seiten des Parks, in dessen Mitte sich Sommer wie Winter das Ringelspiel dreht, wird ausschließlich für das leibliche Wohl gesorgt: Tramezzini und Cicchetti (belegte Brötchen mit Schinken, Salami usw.), Fritto misto (allerlei Frittiertes), „Friulano“-Burger (Hamburger mit Rucola, Pancetta und Nostrana-Salami) und Zuckersüßes ohne Ende. Für den Durst und den Genuss gibt es neben Wein und Bier natürlich Vin Brulè (Glühwein), Cioccolata Calda (heiße Schokolade) und Bom Bardino (heißer Eierlikör).

Genießen kann man all das und noch viel mehr gleich auf überdachten Tischen mit Bänken. Auf einem windgeschützten Platz in der Sonne lässt sich, bei Temperaturen von ein paar Grad über null, wohlige Wärme tanken und ein wenig Bräune erhaschen.
Pizza, Pasta & Shopping
Von den Restaurants, Osterias und Pizzerias, die die zentrale Fußgängerzone und die Gassen links und rechts davon säumen, haben ausreichend viele über den Jahreswechsel geöffnet. Tagsüber sowie abends laden beispielsweise das Corso 21 gegenüber von Alimentari Ridolfo, dem exklusiven Delikatessenladen, das Café Central Park oder die Gelateria Kristal zum Verweilen auch im Freien ein. Ein Pino Grigio oder Sprizz Campari in der warmen Mittagssonne sind ein winterlicher Hochgenuss. Reservieren für das Abendessen empfiehlt sich durchaus, manche Restaurants sind abends „completo full“ (Originalzitat).

Das Shoppingvergnügen kommt ebenfalls nicht zu kurz. Etwa die Hälfte aller Geschäfte in der Fußgängerzone, die auch in der Weihnachtszeit mit Italo Hits beschallt wird, haben geöffnet. Wie üblich mit einer langen Mittagspause. Statt Badehosen, Sandschauferl und Sonnencreme werden allerdings Handschuhe, Wollmützen und Winterjacken feilgeboten. Wie im Sommer gibt es auch im Winter „Saldi -50 %“. Spielhallen haben ebenso einige geöffnet. Sichtbar wird der krasse Gegensatz zum Sommer erst abends, denn um 19:30 Uhr ist die Fußgängerziele wie leergefegt (nicht jedoch die Kulinarik-Meile im Park).
Eislaufplatz statt Springbrunnen

Ein besonderes Aha-Erlebnis gibt es für alle, die sich auf der Piazza della Fontana den großen Springbrunnen erwarten. Denn statt der Wasserfontäne ragt dort ein riesiger, geschmückter Christbaum empor, den man schon von Weitem sieht. Gekrönt wird die Überraschung mit der Eislaufbahn, die über den Kreisverkehr rund um den Baum gebaut zum Eislaufen einlädt. Ein sehenswerter Gegensatz zum Sommer.
Ähnlich erstaunt werden all jene sein, die den Strand dicht besetzt mit zehntausenden Liegestühlen und Sonnenschirmen kennen. Davon steht nämlich auf den gesamten 8 Kilometern nicht ein einziger. Oben auf der über die ganze Strandlänge aufgeschütteten Düne reicht der freie Blick vom Wahrzeichen Lignanos, der Terrazza a Mare (die wegen Renovierung bis 2026 geschlossen ist), bis nach Lignano Pineta. Ein Panorama, das Sommerurlauber nie zu sehen bekommen.

Sandkrippe
In einem großen Zelt beim Strandbüro Nr. 6 gibt es ein künstlerisches Meisterwerk zu bestaunen, die große Sandkrippe. Geschaffen wird sie seit alljährlich von Künstlern als allen Regionen Italiens. Etwa 20 einzelne religiöse Sandkunstwerke sind zu bestaunen.

Bei überlebensgroßen Figuren und einem faszinierenden Detailgrad ist es fast unglaublich, dass kein Klebstoff verwendet wird. Die Figuren bestehen nur aus Wasser, Sand und dem Können der Erbauer. Das Geheimnis der Stabilität ist der tagelang komprimierte Sand.
Lignano in der Weihnachtszeit ist, wenn man das nahe Italien und die obere Adria mag, eine Reise wert. Jedenfalls solange sich dieser Geheimtipp nicht wie „Tutto Gas“ zu Pfingsten in einen ähnlichen Ausnahmezustand, quasi „Tutto Natale“, entwickelt.